Anrechnung fiktiver Einkünfte im Kindesunterhalt und verfassungsrechtliche Grenzen
Im Kindesunterhalt sind dem Unterhaltspflichtigen auch fiktive Einkünfte zuzurechnen, da sich aus § 1603 BGB ergibt, dass er seine Arbeitskraft vollständig einsetzen muss, damit er den Kindesunterhalt leisten kann. Aus verfassungsrechtlicher Sicht leitet sich die Unterhaltsverpflichtung des § 1603 BGB aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz ab. Es ist verfassungskonform, dass bei der Erwerbs- und Arbeitsfähigkeit des Unterhaltsschuldners auch fiktives Einkommen hinzugerechnet werden kann, wenn dem Unterhaltsschuldner eine solche Erwerbstätigkeit zumutbar ist und er es unterlässt, tatsächlich Erwerbsbemühungen zu tätigen, damit er in der Lage ist, den Kindesunterhalt zu zahlen.

In einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte dieses dazu Stellung genommen, welche Leistungsfähigkeitsanforderungen an den Unterhaltsschuldner zu stellen sind, wenn es um die Berechnung von fiktiven Einkünften geht. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass dem Unterhaltsschuldner nichts Unmögliches abverlangt werden kann. Das bedeutet, dass ihm keine fiktiven Einkünfte zuzurechnen sind, die er objektiv nicht erzielen kann. So ist beispielsweise der Gesundheitszustand des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen, ob er tatsächlich unter objektiven Gesichtspunkten solche Einkünfte erzielen könnte, die ihm zu gerechnet werden. Ist dies nicht der Fall, liegt ein unverhältnismäßiger Eingriff in die grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Unterhaltspflichtigen vor.

Der Unterhaltspflichtige muss konkret darlegen, welche Umstände vorliegen, damit er nachweislich und überprüfbar zum Ausdruck bringt, dass er objektiv nicht in der Lage ist, die fiktiven Einkünfte zu erzielen. Das Fachgericht, das eine Entscheidung bezüglich anrechenbarer fiktiver Einkünfte trifft, muss darlegen, welche Ansätze es zugrunde gelegt hat, die zur Anrechnung der fiktiven Einkünfte geführt haben, damit diese einer gerichtlichen Überprüfung durch die Obergerichte zugänglich sind.
Bundesverfassungsgericht, Aktenzeichen 1 BvR 697/20, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.11.2020, eingestellt am 08.02.2021