Voraussetzungen der Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
Die Kindeseltern stritten sich über die elterliche Sorge für die im Jahr 2015 und 2017 geborenen Kinder. Die Kinder waren beim Kindesvater gemeldet und hatten den Lebensmittelpunkt nach der Trennung beim Vater. Der Kindesvater nahm Elternzeit, um die Kinder betreuen zu können. Die Kinderbetreuungszeiten der Kindesmutter lagen knapp unterhalb einer hälftigen Betreuung. Mittlerweile lebt der Kindesvater mit seiner neuen Lebensgefährtin und den Kindern in Bayern. Das Gericht hatte der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, wogegen sich die Beschwerde des Kindesvaters richtete.

Für eine Sorgerechtsentscheidung ist eine doppelte Prüfung des Kindeswohls vorzunehmen. In zwei Stufen wird geprüft, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und Übertragung gerade auf den antragstellenden Elternteil dem Kindeswohl am besten dient. Bei der zweiten Stufe wird geprüft, welcher Elternteil besser in der Lage ist, die Entwicklung und Erziehung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person zu gewährleisten. Dabei gelten von der Rechtsprechung erarbeiten Kindeswohlkriterien wie das Förderungsprinzip, Bindungen des Kindes, Kontinuitätsprinzip und Kindeswille. Alle Kriterien haben den gleichen Stellenwert, jedes Kriterium kann mehr oder weniger bedeutsam für die Prüfung des Kindeswohls sein. Ein Grund für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann sein, dass ein Elternteil nicht erziehungsgeeignet ist. Für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge spricht, dass wegen fehlender elterlichen Kooperationsfähigkeit die Ausübung der elterlichen gemeinsamen Sorge unmöglich ist. Dies ist dann gegeben, wenn ein Mindestmaß an Übereinstimmung in Sorgeangelegenheiten von erheblicher Bedeutung nicht vorliegt. Von Bedeutung ist auch das Fortbestehen einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Kindeseltern. Im vorliegenden Fall konnte davon nicht ausgegangen werden, sondern es gab eine nachhaltige Einigungsunfähigkeit, die sich negativ auf das Kind auswirkte. Auch die Entfernung zwischen den Wohnorten der Kindeseltern kann ein Grund für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge sein. Wenn die Aufhebung der elterlichen Sorge vorzunehmen ist, muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werden und möglicherweise ist die Entscheidung auf Teilbereiche der elterlichen Sorge zu begrenzen, sofern eine solche Teilentscheidung genügt. Nach den oben genannten Kriterien hat das Oberlandesgericht die Entscheidung des Amtsgerichts abgeändert und dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen, die Gesundheitsvorsorge und die Sorge bezüglich schulischer Angelegenheiten beider Kinder übertragen.
Amtsgericht Bremerhaven, Beschluss vom 26.062020, 4 UF 6/19 = 151 F 1472/17, eingestellt am 31.01.2021