Pflichtteilsforderung des Schlusserben im Berliner Testament nach Tod des Elternteils wenn keine Pflichtteilsstrafklausel im Testament enthalten ist
Das Berliner Testament zeichnet sich durch die gegenseitige Einsetzung der Ehegatten zum Alleinerben aus, verbunden mit der wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung (meist der Kinder) nach dem Letztversterbenden. Die Schlusserben erhalten beim Tod des ersten Elternteils regelmäßig nichts; ihr Recht auf den Nachlass entsteht erst mit dem zweiten Erbfall. Typischerweise sind die Schlusserben während des ersten Erbfalls enterbt. Enterbte Abkömmlinge sind jedoch Pflichtteilsberechtigt (§ 2303 Abs. 1 BGB) und können ihren Pflichtteil nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils gegenüber dem überlebenden Elternteil geltend machen.
Enthält das Testament jedoch eine Pflichtteilsstrafklausel, so wird die Schlusserbeneinsetzung für den Fall, dass ein Kind beim ersten Todesfall den Pflichtteil fordert, unter eine auflösende Bedingung gestellt (§ 2075 BGB). Die Folge ist regelmäßig die vollständige (auch für Abkömmlinge des Kindes wirkende) Enterbung im zweiten Erbfall mit klassischer Anwachsung an die übrigen Schlusserben (sog. „Verwirkungsklausel“, § 2094 BGB). Das Kind verliert somit durch die Pflichtteilsgeltendmachung im Erbfall des Erstverstorbenen regelmäßig sein Schlusserbenrecht im Schlusserbfall und wird auf den Pflichtteil beschränkt.
Diese typische Strafwirkung zielt darauf, zu verhindern, dass ein Abkömmling beim Berliner Testament „doppelt profitiert“ und schützt den überlebenden Ehegatten wirtschaftlich.
Dies gilt aber nur, sofern das gemeinschaftliche Ehegattentestament auch tatsächlich eine Pflichtteilsstrafklausel mit den entsprechenden Folgeregelungen enthält. Einen Automatismus der Enterbung auf den Schlusserbfall sieht das Gesetz nicht vor.
Fehlt eine ausdrücklich formulierte Pflichtteilsstrafklausel im Berliner Testament, bleibt es grundsätzlich bei den allgemeinen gesetzlichen Regelungen. Der schlichte Umstand, dass ein kraft Schlusserbeinsetzung bedachter Abkömmling nach dem Erstversterbenden den Pflichtteil geltend macht, führt nach der ganz herrschenden Meinung KEINE automatische Sanktionierung oder Verlust seiner Schlusserbenstellung herbei. In der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs im ersten Erbfall liegt ohne Pflichtteilsklausel kein Verzicht auf die Schlusserbschaft vor. Die nachfolgende Erbquote im zweiten Erbfall wird nicht automatisch gemindert oder der Pflichtteilsbetrag aus dem ersten Erbfall „angerechnet“. Ein solches Vorgehen kann zwar den Gleichbehandlungsgrundsatz der Geschwister verletzen und die Nachfolgeplanung der Eltern stören, ist aber rechtlich nicht sanktioniert.
Außerdem sieht das Pflichtteilsrecht keine generelle Anrechnung bereits gezahlter Pflichtteile aus dem ersten Erbfall auf den Schlusserbenanteil im zweiten Erbfall vor, wenn das gemeinschaftliche Testament hierzu keine ausdrückliche Anordnung enthält.
Ein Nachteil im Sinne eines Erlöschens oder einer Kürzung des Schlusserbenrechts tritt nur bei konkreter Anordnung einer Pflichtteilsstrafklausel ein. Andernfalls profitiert das Kind trotz der Geltendmachung des Pflichtteils in vollem Umfang weiter von seiner Einsetzung als (ggf. alleiniger) Schlusserbe. Nachteilig ist dieses Ergebnis aus Sicht der Testierenden und der rechtsdogmatischen Gleichbehandlung, nicht aber für das fordernde Kind selbst.
Praxishinweis:
Wenn Sie als Testierender diese Folge nicht wünschen, dann lassen Sie sich im Rahmen einer Beratung und Testamentsgestaltung durch einen Fachanwalt für Erbrecht beraten, wie eine Pflichtteilsstrafklausel in Ihrem Fall am besten ausformuliert wird. Bedenken Sie aber auch, dass das Unterlassen der Aufnahme der Pflichtteilsstrafklausel unter steuerrechtlichen Aspekten sinnvoll sein kann, um entsprechende Pflichtteilsforderungen der Kinder zu ermöglichen, falls kein erbschaftsteuerlich optimiertes Testament vorliegt. Die Pflichtteilsforderung stellt eine Nachlassverbindlichkeit für den Erben da und mindert seine Erbschaftssteuerlast.
Fachanwalt für Erbrecht Dr. Jur. Christian Kasten, eingestellt am 01.09.2025